29.05.2020 – von tg – Read the full article here (German only)
Die Tübinger Atriva Therapeutics GmbH will die Wirksamkeit ihres Grippeimpfstoffkandidaten ATR-002 nun auch an nicht-beatmeten COVID-19-Patienten testen.
Den bereits an Gesunden sicherheitsüberprüften MEK-Inhibitor ATR-02 bringen die Wissenschaftler um Atriva-Geschäftsführer Rainer Lichtenberger nun gegen SARS-CoV-2 in Stellung. Anders als zahlreiche andere Wirkstoffe setzt der niedermolekulare Inhibitor, der keine ernsten Nebenwirkungen in Dosisfindungsstudien an 70 Probanden zeigte, an einem nichtviralen Arzneimittelziel im Patienten an: Die Hemmung des Raf/MEK/ERK-Signalweges hindert RNA-Viren wie den Grippe- oder COVID-19-Erreger daran, sogenannte Ribonucleoprotein-Komplexe (RNPs) aus der infizierten Zelle auszuschleusen – das Virus kann sich deshalb nicht vermehren. Anders als bei massiver Virusvermehrung wird dadurch die virusbedingte Entzündungsreaktion im Zaum gehalten, und es kommt nicht zu dem Zytokinsturm, der die COVID-19-Erkrankung lebensbedrohlich macht – soweit die Theorie.
In präklinischen Versuchen hemmte diese Strategie immerhin die Vermehrung von SARS-CoV-2 und unterdrückte die überschießende Entzündungsreaktion: ATR-002 verringerte die Bildung entzündungsfördernder Zytokine und Chemokine statistisch signifikant sowohl in Zelllinien als auch in einem Tiermodell zur akuten Lungenschädigung (acute lung injury, ALI), wie sie bei COVID-19 auftritt. Von Juli an wollen die Wissenschaftler von Atriva nun prüfen, ob sich die im Tiermodell erzielten Erfolge auch auf den Menschen übertragen lassen. Für die geplante Phase II-Studie sollen hospitalisierte COVID-19-Patienten mit noch milden Symptomen rekrutiert werden, die keine Beatmung benötigen.
Lichtenberger zeigt sich optimistisch: „Mit ATR-002 haben wir einen Wirkstoff speziell für die Behandlung schwerer Atemwegsinfektionen, die durch RNA-Viren hervorgerufen werden, entwickelt und decken damit den großen Bedarf nach einer effizienten antiviralen Therapie“. Er glaubt, dass ATR-002 in der aktuellen Pandemie eine wichtige Rolle spielen kann.
Die Behandlung zielt darauf ab, ein Fortschreiten zu schwerwiegenden Verläufen zu verringern und so die Zahl der Patienten, die auf Intensivstationen verlegt werden und eine invasivere Behandlung benötigen, zu verringern. Die chemische Synthese von ATR-02 für die Studie übernimmt die Evonik Industries AG. Zugleich bereitet Atriva den Ausbau der Produktion vor.
Neben präventiven Ansätzen, wie Impfstoffen, die die humorale und zellbasierte Immunität gegen SARS-CoV-2 stärken, ist ATR-02 somit ein wichtiger Baustein in den ineinandergreifenden Therapieansätzen für frühe und fortgeschrittene COVID-19-Stadien.