04.12.2020 – Read the full article here (German only)
Im Labor studieren Zoonosenforschende, welche Merkmale Erreger haben, um vom Tier auf den Menschen zu springen. Um Medikamente gegen Corona zu entwickeln, muss man wissen, wie zoonotische Viren funktionieren. Ein Interview mit Stephan Ludwig.
Welche Bedeutung hat die Zoonosenforschung aktuell?
Die aktuelle Corona-Lage verdeutlicht eindrücklich die Bedeutung der Zoonosenforschung. Sie betrachtet den Übergang von Erregern – insbesondere von den Tieren auf den Menschen. Und genau diese Übertragung fand bei Sars-Cov-2 statt. Man muss sich nur mal vorstellen, dass eine erfolgreiche Zoonosenforschung dazu geführt hätte, dass zum frühesten Zeitpunkt der Übergang dieses Erregers hätte blockiert werden können. Dann wäre uns im globalen Maßstab sehr viel erspart geblieben.
Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit Ihrer aktuellen Forschung?
Wir konzentrieren uns gerade auf zwei Aspekte: auf Therapiemöglichkeiten und auf Präventionsmöglichkeiten. Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns in unserer Forschungsarbeit mit der Frage: Wie helfen die Zellen den Viren dabei sich zu vermehren? Denn Viren brauchen Zellen, um sich in ihnen zu vermehren. Um neue Angriffspunkte für Therapien zu finden, ist es wichtig, die zellulären Vorgänge zu kennen, die es bei einer Virusinfektion gibt. Diese Therapien richten sich nicht mehr nur gegen das Virus, sondern gegen Faktoren in der Wirtszelle, die sich das Virus zu eigen macht. Das Virus programmiert quasi die Wirtszelle um, um die eigene Vermehrung zu befeuern.
Haben Sie ein Bespiel dafür, wie Ihre Laborarbeit angewendet wird?
Über die Zoonosenförderung haben wir uns in dem Forschungsverbund FluResearchNet institutsübergreifend mit einem spezifischen Hemmstoff beschäftigt. Wir fanden heraus, dass er Grippeviren sehr gut blockiert, in dem er einen zellulären Faktor hemmt, den Grippeviren brauchen, um sich zu vermehren. Zunächst wollten wir durch den Hemmstoff ein Medikament gegen Influenza entwickeln. Dann haben wir festgestellt, dass die Eigenschaften des Wirkstoffs auch bei einer Covid-19-Erkrankung helfen. Eine klinische Studie der Phase 1 zeigte, dass der Wirkstoff extrem sicher und gut verträglich ist. Nun starten wir mit dem Start-up Atriva Therapeutics im Januar eine klinische Studie der Phase 2 an Covid-19-Patientinnen und Patienten. So setzen wir molekulare Grundlagen und die Erkenntnisse aus dem Labor ein, um Medikamente zu entwickeln, die beide Stufen einer Covid-19-Erkrankung bekämpfen: die virale Virus-Vermehrung zu Beginn und die im weiteren Krankheitsverlauf einsetzende Überproduktion von Proteinen, sogenannten Zytokinen, die der Körper zur Abwehr von Krankheitserregern bildet. Durch eine solche Überproduktion werden schwere Entzündungen in der Lunge oder anderen Organen ausgelöst. Diese schweren Verläufe wollen wir mit unserem Wirkstoff verhindern.
Wann rechnen Sie damit, dass aus dem Wirkstoff ein Medikament wird, das in der Medizin zum Einsatz kommt?
Bis zum Sommer 2021 haben wir sicherlich die Ergebnisse aus der zweiten Studienphase. In einer dritten Phase wird der Wirkstoff dann einer größeren Gruppe gegeben. Eine Zulassung ist anschließend möglich, frühestens wahrscheinlich 2022. Das hängt davon ab, ob eine Notzulassung möglich ist.
Gerade schauen Menschen weltweit auf die Impfstoffentwicklung. Ihr Projekt fokussiert sich auf die Entwicklung von Therapeutika. Wie wichtig sind Therapeutika, die durch Zoonosenforschung entstehen?
Wir werden auch mit einem Impfstoff immer wieder erkrankte Menschen haben, für die ein Medikament wichtig sein wird. Für Menschen, die jetzt mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen und beatmet werden, wäre ein Therapeutikum derzeit natürlich wichtiger als ein Impfstoff. Es sind immer zwei Aspekte, die bei zoonotischen Erkrankungen wichtig sind: die Prävention durch einen Impfstoff und eine Therapie zur Behandlung.
Wie hängen Zoonosenforschung und Impfstoffentwicklung zusammen?
Ein Augenmerk liegt auf der Suche nach universell einsetzbaren Impfstoffen. Im Moment muss man sich beispielsweise jedes Jahr gegen Grippe impfen, weil es immer wieder neue Virenstämme gibt. Gegen neue Grippevarianten aus der Tierwelt, wie beispielsweise der sogenannten Schweingrippe, die im Jahr 2009 beim Menschen aufgetreten ist, waren die saisonalen Impfstoffe bisher wirkungslos. Hier einen generell einsetzbaren Wirkstoff zu finden, beschäftigt die Wissenschaft.
Die Nähe zu Nutztieren ist ein Risiko für das Überspringen von Krankheitserregern auf den Menschen. Wenn alle Menschen auf der Welt sich pflanzlich ernähren würden, gäbe es dann noch Zoonosen?
Die Massentierhaltung begünstigt sicherlich eine zoonotische Übertragung, weil man eine sehr hohe Konzentration an Wirtstieren hat. Um ein Beispiel zu nennen: Ein mit Vogelgrippe infizierter Vogel, der vom Himmel fällt, der ist kein Problem für uns. Aber wenn ein solches H5N1-Virus in eine Puten- oder Hühnerfarm eindringt und tausende Tiere infiziert, ist das ein Problem für uns. Dabei entstehen so große Virusmengen, dass Menschen leicht infiziert werden können. Auch bei einer rein pflanzlichen Ernährung gäbe es Zoonosen. Denn ein weiterer wichtiger Faktor, weshalb zoonotische Krankheiten auftreten, ist das immer weitere Vordringen des Menschen in unbewohnte Gebiete. Ein Beispiel hierfür ist das Ebola-Virus, dass durch den Kontakt mit Affen und Fledermäusen übergesprungen ist.