Elisabeth Dostert – 20. April 2021, 16:41 Uhr – Read the full article here (German only)
Deutsche Firmen der Branche haben 2020 mehr als drei Milliarden Euro von Investoren eingesammelt. Doch es gibt einige Dinge, die die Euphorie dämpfen.
Die vergangenen 15 Monate waren für Rainer Lichtenberger ein „Höllenritt“. Er ist Chef der Tübinger Firma Atriva Therapeutics. Als die erste Welle der Corona-Pandemie über das Land rollte, entschloss sie sich, in den Kampf gegen Covid-19 einzusteigen. „Wir wussten, dass unsere Technologie gegen andere Coronaviren wirkte“, erzählt der Manager. Erste Tests zeigten, dass ATR-002, so heißt das Produkt, auch Potenzial gegen Covid-19 hat. Es ist ein antivirales Therapeutikum. Das Medikament soll die Vermehrung von Viren bremsen und eine Überreaktion des Immunsystems verhindern.
Lichtenberger will jetzt die Corona-Impfstoffe nicht klein reden. Im Gegenteil. „Sie sind die Retter für uns alle“, sagt er. Die Innovationen aus Deutschland seien ein unglaublicher Beweis für die „Leistungsfähigkeit der deutschen Forschung und für die Kreativität der Unternehmer“, sagt Lichtenberger. Diese Sicht teilen auch Alexander Nuyken, Partner der Beratungsfirma EY, und Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Bio Deutschland, bei der Vorstellung des jüngsten Jahresberichts der Branche. Es wäre bloß schön gewesen, „wenn es nicht erst eine Pandemie gebraucht hätte, um die Scheinwerfer auf die Branche zu lenken“, sagt Schacht.
2020 war ein Jahr der Rekorde. Mehr als drei Milliarden Euro sammelten deutsche Biotechs ein – am Kapitalmarkt, über Risikokapitalgeber und andere Investoren. Das war mehr als drei Mal so viel wie im Vorjahr. In Europa lag das Finanzierungsvolumen leicht über 16 Milliarden Euro, in den USA bei fast 100 Milliarden Dollar.
Beim Fokus auf die Impfstoffe seien therapeutische Ansätze auf der Strecke geblieben, schreibt Nyken im Jahresbericht 2021. Die dritte Welle sei in vollem Gange, sagt Atriva-Chef Lichtenberger: „Es wird vielleicht nicht die letzte sein, „Covid is here to stay“, bleibt uns also noch erhalten. Impfstoffe seien überlebenswichtig, aber „ohne zusätzliche Therapeutika werden wir es nie schaffen, die Pandemie komplett im Zaum zu halten“.
Das Beispiel Atriva zeigt einige Defizite auf
Atriva ist eine der vielen kleinen und mittleren Firmen, die die deutsche Biotech-Szene dominieren. Lichtenbergers „Höllenritt“ zeigt exemplarisch einige Defizite auf. „Ohne jegliche Kapitalreserven“ habe man im Februar 2020 mit den Covid-19-Aktivitäten begonnen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, dem Bfarm, habe man um wissenschaftliche Beratung für eine Phase-2-Studie gebeten, die gab es im Mai, „die war sehr motivierend“. Gleichzeitig habe Atriva beim Bundesforschungsministerium eine Förderung angefragt, zwei Millionen Euro, „die wurde abgelehnt, wir seien zu weit fortgeschritten“, sagt Lichtenberger. „Das war für uns schon sehr frustrierend.“ Das ist ein Punkt, den auch Lobbyist Schacht beklagt, es fehlt die finanzielle Förderung entlang der kompletten Kette von der Forschung über die klinischen Studien bis hin zur Produktion. Acht Millionen Euro bekam Atriva dann von Investoren und später weitere 24 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank.
Im September stellte die Firma beim Bfarm den Antrag auf eine klinische Phase 2b-Studie ein, die wurde im Dezember genehmigt, im Januar aber von der Ethik-Kommission Berlin abgelehnt, aus Datenschutzgründen, sagt Lichtenberger. Die Ethik-Kommission Frankfurt genehmigte die Studie. Eine bedingte Zulassung von ATR-002 gegen Covid-19 strebt Lichtenberger für das erste Quartal 2022 an. Parallel will er die Produktion hochfahren, wenn er Geld genug hat.