27.05.2022 – Read the full issue here (German only)
Investitionen der öffentlichen Hand in Biotechnologie.
Die meisten Maßnahmen zum Infektionsschutz gegen COVID-19 sind in Deutschland mittlerweile aufgehoben. Doch auch wenn viele Menschen es nicht mehr hören können oder wollen, ist die Pandemie noch nicht vorbei und fordert in Deutschland wöchentlich mehr als 1.000 Todesopfer. Aktuell belasten die nicht funktionierende Null-COVID-Politik in China und die daraus folgende Disruption der Lieferketten unsere Wirtschaft ganz erheblich. Von Dr. Rainer Lichtenberger
Ein zentraler Baustein zum Ausstieg aus der chinesischen Lockdown-Dauerschleife ist die rasche Bereitstellung von potenten antiviralen Medikamenten, so ein Beitrag in Nature Medicine[1] vom Mai 2022.
In Deutschland hatte man die Erkenntnis, dass Lockdown und Impfstoffe allein nicht ausreichen, immerhin schon etwas früher. Im Jahr 2021 wurden 350 Mio. EUR an staatlichen Fördermitteln für die klinische Entwicklung von antiviralen Medikamenten bereitgestellt – ein ersehnter Durchbruch nach langen und vielfältigen Bemühungen u.a. der BEAT-COV-Initiative, in der sich auch das Unternehmen des Autors engagiert. Die Freude über das Einsehen auf bundespolitischer Ebene wich jedoch rasch der Ernüchterung ob der unzureichenden Umsetzung der Förderpolitik.
Daher muss heute darüber gesprochen werden, was im Hinblick auf die Entwicklung von COVID-19-Medikamenten kurzfristig zum Erfolg führen kann, welches die Lehren aus der Krise sind und wie eine Vorbereitung auf künftige Pandemien aussehen sollte.
Nicht nur mit Blick auf ein mögliches Wiedererstarken von SARS-CoV-2, sondern auch um die Folgen jeglichen pandemischen Geschehens für Familien, Senioren, Kinder, Klinikpersonal, Arbeitnehmer und die globale Wirtschaft besser in Schach zu halten – denn Pandemic Preparedness ist ein essenzieller Baustein der staatlichen Daseinsfürsorge. Das Thema Pandemie ist mit dem Einrichten in eine „neue Normalität“ nicht erledigt. Im Gegenteil: Es fängt gerade erst an. Deutschland sollte hierbei weiterhin eine führende Rolle einnehmen.
Drei Punkte sind daher vonseiten der Biotechnologie an die Politik heranzutragen.
1. Fachleute sollten entscheiden
Eine langfristige Pandemievorsorge muss kompetent gesteuert werden. Sie muss globale Entwicklungen im Blick haben, um Bedrohungsszenarien zu identifizieren, Bedarfe zu definieren und geeignete Entwicklungen aufseiten der Industrie zu fördern. Hierbei sind
fortgeschrittene Projekte auszuwählen, die eine Chance bieten, in kurzer Zeit den Markt zu erreichen und Versorgungslücken zu schließen – statt die am weitesten entwickelten Medikamente zuletzt und unzureichend zu fördern. Eine Agentur wie die US-amerikanische Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA)[2] hat sich hierbei bewährt – warum nicht auch für Deutschland nach diesem Muster aufsetzen und gestalten? Stattdessen steckt eine von der ehemaligen Bundesforschungsministerin Karliczek geforderte Agentur für Pandemievorsorge[3] in der Konzeptphase fest.
Eine ausreichende, am tatsächlichen Bedarf orientierte finanzielle Ausstattung ist unerlässlich, um die entscheidenden, sehr kostenintensiven Schritte bis zur Zulassung und Markteinführung fördern zu können und parallel frühzeitig die Produktion aufzubauen. So muss diese Agentur die Förderung klinischer Spätphasen ermöglichen und erforderliche Mittel rollierend wie auch unbürokratisch zur Verfügung stellen können. Dies kann nur gelingen, wenn sie durch industrieerfahrenes Fachpersonal besetzt wird.
2. Fördermaßnahmen breiter aufstellen
Klinische Studien der Phasen II und III haben lange Vorlauf- und Laufzeiten. Die 2021 ausgeschriebenen Förderungen jedoch sahen kurze Projektlaufzeiten von maximal 18 Monaten, aber einen Auszahlungszeitraum von bis zu fünf Jahren vor. Die erforderliche Zwischenfinanzierung ebenso wie die bürokratischen Hürden bei der Ausschreibung und beim Abruf der Mittel sind für kleinere Unternehmen kaum zu bewältigen, welche in gutem Glauben auf unbürokratische Abwicklung in Vorleistung gegangen sind, die nachträglich nun doch nicht erstattet wird. So wurden von dem aufgelegten 350-Mio.-EUR-Förderpaket aufgrund der hohen Anforderungen überhaupt nur 150 Mio. EUR konkret in Aussicht gestellt, und auch davon hat bislang die Mehrheit der als förderwürdig ausgewählten Unternehmen keine Auszahlung erhalten. Bei anderen Anträgen wiederum wurde die für den Aufbau eines deutschen Produktionsstandorts vorgesehene Summe gekürzt. Dieser Rückfall in kleinliche Förderbürokratie unterminiert das Vertrauen der Unternehmer, Mitarbeiter und Risikokapitalgeber in den Forschungsstandort Deutschland. Dass es auch anders geht, zeigt die Praxis von USA und EU, die genehmigte Summen vorab auszahlen und dadurch die Realisierung vieler wichtiger Initiativen zur Eindämmung der Pandemie ermöglichen.
Damit die bereitgestellte Förderung den tatsächlichen Anforderungen gerecht werden kann, braucht es eine schnell agierende und kompetente Projektabwicklung mit Expertise im Bereich klinischer Spätphasenentwicklung sowie ausreichend Spielraum, um die Förderung an geänderte Umstände anzupassen. Auch die allgemeinen Rahmenbedingungen für klinische Studien müssen dringend verbessert werden, wenn Deutschland in diesem Bereich leistungsfähig und international konkurrenzfähig sein soll. Das betrifft die Rekrutierung von Patienten, einheitliche und schnelle Genehmigungsverfahren und die Sicherung von Patenten. Dies fordert nicht nur der Verband forschender Arzneimittelhersteller[4], sondern auch eine Autorengruppe um Prof. Niels Riedemann, CEO des BEAT-COV-Unternehmens InflaRx, in einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt[5].
3. Ernsthafter Aufbau der Pandemievorsorge
Pandemic Preparedness bedeutet derweil auch die Entwicklung von Medikamenten, die hoffentlich nie benötigt werden. Dass sie im Ernstfall jedoch unverzichtbar sind, hat die Menschheit durch COVID-19 gerade schmerzhaft erfahren. Vielversprechende antivirale und antibakterielle F&E-Projekte benötigen daher eine langfristige, planbare Unterstützung. Neue Vergütungsmodelle können einen Anreiz bieten, damit die Entwicklung solcher Medikamente attraktiv wird und bleibt. So können zugesicherte Vorabkäufe seitens des Staates ein Modell
sein, um Forschungs- und Entwicklungskosten engagierter Unternehmen mit einem Return on Investment zu belohnen.
Genau hierin zeigt sich die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Anstrengungen von Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzministerien. Fachbereichsübergreifende Konzepte sind das Gebot der Stunde, um die leidvollen Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre in eine vorausschauende klinische Forschungsförderung umzumünzen und der nächsten Pandemie gut vorbereitet entgegenzutreten.
Zum Autor
Dr. Rainer Lichtenberger, MBA, ist Mitgründer der Atriva Therapeutics GmbH und leitet das privat finanzierte Unternehmen seit 2015 mit dem Ziel, ein antivirales Medikament mit breiter Wirksamkeit gegen Atemwegsinfektionen wie Influenza, COVID-19 und Denguefieber zu entwickeln. Eine internationale Phase II-Studie soll ab dem zweiten Halbjahr 2022 die Wirksamkeit von Zapnometinib gegen Influenza – wohl eine der Krankheiten mit dem höchsten Pandemiepotenzial – untersuchen.
Quellen
[1] Cai, J./Deng, X./Yang, J. et al. (2022): Modeling transmission of SARS-CoV-2 Omicron in China. In: Natural Medicine. https://doi.org/10.1038/s41591-022-01855-7.
[2] https://aspr.hhs.gov/AboutASPR/ProgramOffices/BARDA/Pages/default.aspx
[3] www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-karliczek-deutschland-braucht-agentur-fuer-entwicklung-neuer-impfstoffe/27074690.html
[4] www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/forschungsstandort-deutschland/klinische-studien-deutschland.html
[5] www.aerzteblatt.de/archiv/224808/Klinische-Studien-Abgehaengtes-Deutschland